Polina, die damals noch den Mädchennamen Bortkova trug, wurde am 24. November 1942 aus ihrer Heimatstadt Dnipropetrowsk in der Ukraine von den Nationalsozialisten verschleppt. Polina war einige Tage zuvor, am 15. November 1942, 15 Jahre alt geworden. Nach mehreren Tagen Fahrt kam sie mit dem Zug in Pirmasens an, wo sie für die Zwangsarbeit im Reichsbanh-Ausbesserungswerk in Saarbrücken-Burbach verpflichtet wurde. Untergebracht im Arbeitslager neben dem Werk, bestand ihr Alltag fortan aus der Arbeit in der Gasschweißerei.

Gemeinsam mit anderen Zwangsarbeiter*innen leistete Polina Widerstand, soweit sie das konnte. So verübten sie heimlich kleinere Sabotageakte, indem sie zum Beispiel die Waggons beschädigten. Auf diese Weise versuchten sie die kriegswichtige Produktion ein wenig zu verlangsamen. Zudem schloss sie sich im Februar 1944 einer Widerstandsgruppe mit dem Namen „Die roten Partisanen“ an. Das waren russische Kriegsgefangene, die gemeinsam mit der französischen Resistance Fluchthilfe für Ostarbeiter*innen und Kriegsgefangene organisierten.

Polina schmuggelte Dokumente über Forbach nach Tenteling, wo sich die Partisanen im Wald versteckten. Ein paar Mal ging alles gut. Im August 1944 wird Polina dann aber gemeinsam mit 18 weiteren Personen verhaftet und zunächst im Gestapo-Lager Neue Bremm festgehalten.
„Am 18. August 1944 wurden wir von der Gestapo verhaftet. Wir waren 18 Leute, davon zwei Mädchen, Tatjana und ich. Sie brachten uns in dieses Lager. Das Straflager Goldene Bremm. Hier fanden Verhöre statt. Es war sehr schwer, sehr. Zur Arbeit hat man uns nicht getrieben. Wir saßen hier und sortierten irgendwelche Samen. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was wir machten. Eine eintönige Arbeit war das. Und die [männlichen] Häftlinge wurden im Laufschritt gejagt, im Gänsemarsch. Solche Beschäftigungen waren das. Gymnastikübungen in der Hocke, die Hände im Nacken gefaltet. An mehr erinnere ich mich nicht – ich war nicht lange hier.“
Kurze Zeit später wird Polina zur Gestapo-Leitstelle ins Saarbrücker Schloss gebracht.

„Sie verhörten mich, schlugen mich, fragten mich: ‚Warum sitzt du hier? Wer war noch dabei? Wer war noch beteiligt?‘ Aber ich habe nichts gesagt.“

Polina wird über sechs Wochen von der Saarbrücker Gestapo festgehalten. Kurz vor Ende ihrer Haftzeit in Saarbrücken ritzte sie folgende Worte an die Zellentür: „Hier war Polina Bortkova verhaftet, wegen einer Sache. Bin hier seit 6 Wochen und weiß nicht wie lange noch. Meine Adresse ist in Stalino, ich kam aber aus Dnepropetrowsk. Geburtsdatum 15.11.1927.“

„Das habe ich geschrieben, als ich schon sechs Wochen hier in der Zelle saß. Ich beschloss es zu schreiben, weil ich dachte, vielleicht wird nach mir noch jemand hier sein und wird es irgendwohin weitergeben, damit man weiß, dass ich hier war. Ansonsten habe ich nirgendwo etwas über mich hinterlassen. Hier kam es halt dazu, dass ich etwas über mich niederschrieb. Sie brachten mich dann von hier nach Dortmund und von dort aus ins Konzentrationslager Ravensbrück. Da war geschrieben wofür ich saß: Wegen Politik. Wegen Beteiligung an einer Organisation. Das ist durchgestrichen, das durfte man nicht schreiben, aber ich habe einfach nicht daran gedacht. Und dann strich ich es durch. Damit sie mich nicht wieder schlugen nahm ich es und strich es durch. In der Zelle war ein Klappbett und hier stand so ein Eimer als Toilette und ein niedriger runder Tisch. Da stellten sie die Schüssel drauf, wenn sie das Essen brachten. Das war alles. Essen und schnell wieder Schluss. Sie haben alles schnell wieder abgeräumt. Ich war alleine in der Zelle, es war eine Zelle für eine Person.“

[Anmerkung: Es gibt auch andere Berichte, wie etwa der von Clémence Jacques, die davon berichten, dass sich in dieser Zelle bis zu 30 Personen gleichzeitig aufhalten mussten. Wir gehen heute davon aus, dass die Zellen von der Gestapo unterschiedlich genutzt wurden.]
In Verhören und mit Schlägen versuchten die Gestapo-Beamten immer wieder zu erfahren, wer noch an der Aktion beteiligt war. Doch Polina schwieg eisern.

Nach über sechs Wochen wird sie über Dortmund zunächst ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und schließlich ins Todeslager Bergen-Belsen deportiert. Polina ist 17 Jahre alt, als sie am 15. April 1945, an Typhus erkrankt, unter einem Berg von Leichen, in Bergen-Belsen gefunden und befreit wird.

Es soll noch viele Jahre dauern, bis Polina ein Leben führen kann, das so ist, wie es sein soll, wie sie selbst erzählte. In ihrer Heimat galt sie als Verräterin, da sie für den Feind gearbeitet hat. Was sie während der Zwangsarbeit und in den Konzentrationslagern durchleiden musste, konnte sie zunächst nicht erzählen. In den 1990er Jahren wurden Zwangsarbeiter*innen erstmals als Opfergruppe des Nationalsozialismus anerkannt. Um an Entschädigungszahlungen zu kommen, mussten die Betroffenen allerdings selbst nachweisen, dass sie zur Arbeit im Deutschen Reich eingesetzt wurden. Auf der Suche nach Beweisen kehrte sie im Februar nach Saarbrücken zurück. Bei einem Besuch im Historischen Museum verfasste sie am 8. Februar 1993 folgende Worte:

„Ein Dankeschön dafür, dass Sie alle und alles über uns bewahrt haben, dass Sie uns nicht vergessen haben, und dass Sie das Andenken an alle Zugrunde gegangenen ehren.“

Eine der Arrest-Zellen, auf deren Tür ihr auch die Inschriften von Polina und Clémence finden könnt, ist übrigens noch erhalten und bildet heute den Mittelpunkt zur NS-Ausstellung im Historischen Museum Saar. Ihr könnt das Museum auch online besuchen.

Hier geht es zur Online-Ausstellung.

Quellen:
-    Inge Plettenberg. Polina und die Milliarde aus Bonn. Fernsehdokumentation, 45 Min. SR/Südwest 3, 1993.
-    Historisches Museum Saar: NS-Dauerausstellung „Zehn statt tausend Jahre“